Es war gerade erst halb zehn, und
Paul und ich standen uns die Beine in den Bauch. Keine Gäste weit und breit -
im Schwarzen Adler soviel Leben wie auf einem Dorffriedhof nachts um halb drei.
Dort wenigstens gab es die ein oder andere Eule, die für Aufregung sorgte, und
ein paar Katzen auf Mäusejagd. Und ich wusste, an diesem Zustand würde sich
heute Abend nichts mehr ändern. Die halbe Stadt traf sich zur Eröffnungsfeier
des Audiothrons, einer neuen Diskothek am Stadtrand, die in Zukunft unsere
kulturlose Metropole mit solch spektakulären Veranstaltungen wie Schaumpartys,
Ibiza-Dance-Nights oder Tanga-Grooves (wer im Stringtanga und mit Sepplmütze
kommt, erhält freien Eintritt und ein Getränk nach Wahl) beglücken würde. Im
Schlachthof spielte ein gerade angesagtes Comedyduo, im Jazzkeller war heute Heavy
Metal Night, und außerdem war da noch dies und auch noch das. Diese Stadt war
einfach zu klein für soviel Kultur. Mit Augenschein auf die Lohnkosten erklärte
ich Paul, dass ich ihn den Rest des Abends nicht mehr brauchen würde.
„Prima“, sagte der, zog seine
Jacke an und war verschwunden, kaum dass ich ausgeredet hatte. Es passte ihm
gut in den Kram, denn erstens war Arbeit sowieso nicht sein Ding und zweitens
gab es da noch das Pater Noster, wo heute irgendeine Tekknoperformance mit
Livepainting stattfinden sollte. Nicht etwa, dass ihn die Performance oder gar
die Malerei interessiert hätte, aber im Pater Noster saßen immer eine Menge
angetörnter, rothaariger Girlies herum, und das war Grund genug.
Dass es kein guter Tag werden
würde, hatte ich schon im Gefühl, als ich am Nachmittag den Schwarzen Adler aufschloss.
Erst verabschiedete sich die Kohlensäure und dann der Grill in der Küche. Was
die Kohlensäure betraf, so konnte dieser Umstand noch behoben werden, auch wenn
ich es hasste, die Flaschen zu wechseln. Für so etwas hatte ich einfach keine
glückliche Hand, und ich stellte mir jedes Mal dabei vor, wie beim nächsten
Öffnen des Zapfhahnes der Schwarze Adler mit gewaltigem Blitz und Donnerschlag
in die Luft fliegen würde. Und mit ihm ich. Mit dem Grill war es da schon
anders. Der musste zur Firma Gack gebracht werden, damit die ihn wieder flott
machte. Das geschah etwa alle zwei Monate. Wenigstens in diesem Punkt hielten
wir die Wirtschaft am Laufen. Der Nachteil war, dass wir nun alle Aufläufe,
Fladenbrote und was sonst noch alles überbacken wurde, im Backofen zubereiten mussten.
Und weiß der Teufel warum, aber das Teil stank derartig nach Rauch und Ruß, dass
wir schon des öfteren Gäste davon abhalten mussten, die Feuerwehr zu rufen.
Nun, im Augenblick waren keine
Gäste da, aber das änderte sich schlagartig. Ich hatte gerade eine CD von Iggy
Pop eingelegt und während der von der Lust zu leben berichtete, öffnete sich
die Tür und ein Trupp dick eingemümmelter Zeitgenossen betrat den Schwarzen
Adler. Noch konnte ich aufgrund der Vielzahl an Schals, Wollmützen und Parkas
nicht erkennen, wer diese Menschen waren. Aber mit jedem Kleidungsstück, das
sie ablegten, offenbarte sich mir mehr und mehr die grausame Wahrheit. Es waren
die hiesigen Grünen Stadtverordneten. Klar, fiel mir ein, es war Wahlkampf, und
am Mittag sollte Joschka Fischer auf unserem Marktplatz eine erbauliche Rede
halten. Und da das La Cucaracha, jenes Nobellokal, dass unsere Lokalpolitiker
sonst vorzogen, Montags Ruhetag hatte, waren sie nun dazu gezwungen, mit
unserer Kaschemme vorlieb zu nehmen, und außerdem musste man sich schließlich
auch einmal der Basis zeigen, vor allem in Zeiten wie diesen.
Immerhin, sie waren zu siebt und
die augenblickliche Konjunktur zwang uns dazu, auf jeden Pfennig zu achten.
Also packte ich Stift und Zettel ein, marschierte zum Tisch, setzte das
Ihrseidmirdieliebstengästelächeln auf, nachdem mir ganz und gar nicht zumute
war, da ich wusste, dass die Sache mit dem Grill wieder ein Vermögen kosten
würde, und fragte so höflich, wie es nur ging, was es sein durfte. Sie schauten
mich an, als käme ich von einem anderen Stern. Vielleicht war es ja im La
Cucaracha nicht üblich, etwas zu konsumieren, während man über die wichtigen
Dinge des Lebens diskutierte, aber hier im Schwarzen Adler hatte man gefälligst
etwas zu bestellen, grün hin oder her, schließlich waren wir keine Wärmestube,
auch wenn es hier manchmal wie in einer solchen aussah. Nun, nach langem hin
und her einigten sie sich parteikonform darauf, dass sie jeder einen Grünen Tee
trinken wollten; allerdings nur deshalb, weil wir nun einmal keinen
Getreidekaffee führten, dafür aber Getreideburger, und die wurden auch zweimal
bestellt. Sei’s drum, dachte ich, solange sie bezahlen und sich benehmen, sind
alle Gäste vor dem Wirt gleich.
Nur eines machte mir Sorgen. Von
allen acht Tischen, die sich im vorderen Raum befanden, hatten sie sich
ausgerechnet den ausgesucht, über dem eine der beiden Lautsprecherboxen hing -
und Iggy Pop plärrte immer noch aus vollem Hals. Ich ahnte schreckliches. Und
schon fuchtelte einer der Volksvertreter mit seinem Arm in der Luft herum, als
wollte er eine ganze Armada an Mörderfliegen verscheuchen. Aber es war mitten
im Winter, es gab keine Fliegen - noch nicht einmal bei uns, und so schloss ich
daraus, dass diese seltsame Gymnastikübung bedeuten sollte, dass ich an den
Tisch zu kommen hatte. Dabei hätte der Mann überhaupt nichts zu sagen brauchen,
denn ich wusste, was er wollte, aber er sagte es trotzdem:
„Können Sie denn nicht diese
schreckliche Katzenmusik ein wenig leiser machen? Haben Sie denn nicht etwas gefälligeres
da?“
„Etwas gefälligeres?“ murmelte
ich. „Mal sehen, was sich da machen lässt.“
Ich ging also nach hinten zur
Anlagen und machte Iggy - er möge es mir verzeihen - den Garaus, noch ehe er
seinen Pussy Walk zelebrieren konnte. Vielleicht war es auch besser so, bevor
man mich noch hier an Ort und Stelle lynchte, weil ich es wagte, in aller
Öffentlichkeit eine derart entartete Musik mit solch schrecklichen, an
Obszönität nicht zu überbietenden Texten, laufen zu lassen.
Für einen kurzen Augenblick
überlegte ich, ob ich nicht jenes Tape mit den alten Straßenkämpferhymnen
auflegen sollte. Solche Sachen wie Macht
kaputt, was euch kaputt macht, oder Keine
Macht für Niemand. Vielleicht würde sie das ja an frühere, glücklichere
Kämpfertage in Gorleben, Brockdorf oder an der Startbahn West erinnern.
Schließlich waren auch Grüne einmal jung, aber als ich noch einmal einen Blick
auf die Truppe warf, bezweifelte ich, dass diese
Revolutionäre jemals über das Hannes Wader und Wolf Biermann Stadium
hinausgekommen waren.
Letztendlich entschied ich mich
für das Unchained Album von Johnny Cash, wohl wissend, dass ich sie auch mit
diesem Silberling ärgern würde. Es handelte sich dabei zwar um eines der besten
Werke dieses Ausnahmemusikers, aber woher sollten diese vielbeschäftigten
Herrschaften das wissen? Und für Leute, in deren Musikschrank man lediglich
vier Kuschelrock Cds, eine The best of Phil Collins und noch - etwas versteckt
- die Ibiza Dance Traxx Vol. 34 mit diesem süßen, knackigen, vollbusigen Mädel
auf dem Cover, fand, musste sich Cash immer noch nach hinterwäldlerischstem
Hillbilly anhören. Aber etwas gefälligeres hatte ich nicht da und außerdem
bestimmte immer noch der Wirt, welche Musik gespielt wurde. Wo kämmen wir denn
da hin? Etwas pikiert schauten sie schon drein, aber sie beschwerten sich nicht
mehr. So widmete sich der Grünentisch wieder seiner Diskussion und ich mich dem
Saubermachen der Ablaufrinnen im Tresenkühlschrank.
Plötzlich ein Schrei aus der
Küche und dann ein Scheppern, dass selbst die letzte Küchenmaus Zuflucht in der
Flucht suchte.
„Was ist denn nun schon wieder
los“, fluchte ich und warf einen Blick durch die Küchentür. Was ich sah, war
Belinda, die mit weit aufgerissenen Augen bewegungslos dastand, als sei sie zur
Salzsäule erstarrt. In ihren Händen hielt sie einen dieser schwarzen Teller,
die sofort in tausend Stücke zersprangen, wenn man sie nur ein wenig zu fest
ansah. Etwa zehn davon lagen zu ihren Füßen. Ein Puzzle, an dem auch der
geduldigste Tüftler verzweifeln würde.
„Macht nichts“, sagte ich. „Von
dem üppigen Trinkgeld, dass wir von unseren Lieblingspolitikern bekommen
werden, kaufen wir Neue.“ Dann wandte ich mich wieder meinen Ablaufrinnen zu,
während Johnny Cash lautere Töne anschlug.
Und dann sah ich wieder diesen
fuchtelnden Arm. So laut war Cash nun auch wieder nicht. Bei näherem Hinsehen
jedoch entdeckte ich, dass der Winker Zeigefinger und Daumen aneinander rieb,
so als würde er ausgerechnet an diesen beiden Fingern ganz entsetzlich frieren
und sich durch diese Reibebewegung etwas Wärme verschaffen wollen. Ich packte
also die Geldtasche ein und machte mich auf den Weg zu ihrem Tisch, denn ich
wusste, dieses Zeichen konnte nur eines bedeuten: die Herrschaften wollten
bezahlen.
„Zählen sie alles zusammen“,
sagte der, der mit Iggy Pop nichts anfangen konnte. „Also“, rechnete ich.
„Sieben mal Tee macht 21. Und zwei Getreideburger sind 14. Macht zusammen genau
35 Mark.“
„Ja so was blödes“, sagte der
grüne Stadtverordnete. „Das ist nun wirklich eine ungünstige Summe. Außerdem
habe ich’s gerade passend. So ein Pech. Na, dafür gibt’s beim nächsten Mal ein
Trinkgeld.“ Und legte den Betrag pfenniggenau auf den Tisch. Klar, dachte ich,
beim nächsten Mal in vier Jahren, wenn wieder Wahlen sind.
„Wann endlich wird eigentlich die
Getränkesteuer abgeschafft?“ fragte ich noch zum Abschied, wo ich schon einmal
die Verantwortlichen hier hatte. Aber die waren schon so sehr damit
beschäftigt, sich in ihre Schals und Mützen einzuwickeln, dass sie mich nicht
mehr hörten.
Was soll’s, wenigstens war jetzt
keiner mehr da, der sich über die Musik beschwerte. Ich konnte also wieder Iggy
Pop einlegen, oder doch lieber die Standells? Schließlich entschied ich mich
für Lyres, denn erstens hatte ich die schon lange nicht mehr gehört und
zweitens war Rock‘n’Roll immer noch die bessere Alternative.
Die Ruhe war nicht von langer
Dauer. Ausgerechnet Meierling kam jetzt rein, jener frustrierte Finanzbeamte
und ewiger Nörgler, dem man die Bedeutung von Benimm und Anstand in dessen
früher Jugend so fest eingetrichtert haben musste, dass sie unten wieder
rausgefallen war. Mit schnellen Schritten marschierte er in den hinteren Raum,
deponierte dort seine Umhängetasche unter dem Münzsprecher, um dann an den
Barhockern vorbei wieder nach vorne zu kommen, wo er mehr zur Garderobe fiel
als dass er ging. Dort hängte er seine Jacke auf, kramte dann eine Schachtel
Roth Händle aus ihr hervor, mit der er schließlich an den Tresen kam und auf
einem der Hocker Platz nahm. Jeden Tag das gleiche Ritual. Wenn er eines Tages
erst seine Jacke aufhängen und dann die Tasche unter dem Telefon platzieren
würde, so wäre dies ein sicheres Zeichen dafür, dass er nun endgültig in die
weite Welt des Deliriums abgetaucht war. Aber noch funktionierte alles, und so
ließ es nicht lange auf sich warten, bis er mit einem lauten „Los, her damit“
seine Bestellung aufgab. Ich wusste sehr wohl, dass „Los, her damit“ bedeutete,
dass er einen Cognac und ein Pils - aber im Exportglas, weil Pils aus einem
Pilsglas nicht schmeckt - haben wollte, aber heute hatte er mich auf dem
falschen Fuß erwischt. Ich drehte mir eine Zigarette und kümmerte mich nicht
weiter um ihn.
„Was ist jetzt? Auf, los, her
damit!“
„Her damit, was?“ fuhr ich ihn
an. „Her mit den kleinen Engländerinnen? Her mit fünf Millionen Euro in kleinen
Scheinen? Her mit Koks, Haschisch, Heroin?“
„Magno, Pils, los, auf jetzt,
schnell!“
Es hatte keinen Zweck, sich
aufzuregen. Ich war vierunddreißig und entschieden zu jung für einen Herzinfarkt,
wie ich fand, also schenkte ich ihm seinen Schnaps ein und zapfte das Pils an -
im Exportglas, weil Pils im Pilsglas nicht schmeckt. Wenigstens gab er jetzt
Ruhe. Er blätterte in der Tageszeitung, und ich bestellte mir bei Belinda ein
Tagesgericht, schließlich hatte ich noch sieben Stunden vor mir und brauchte
was im Magen.
Es gab Spaghetti. Montags gab es
immer Spaghetti. Auch so ein Ritual. Ich hatte gerade die erste Gabel
aufgerollt, als es plötzlich aus Meierling herausplatzte. „Was ‘n das für eine
furchtbare Musik. Himmel Herrgott noch mal, das hält ja kein Mensch aus.“ Ein
Vulkanausbruch musste bei weitem angenehmer sein als dieses Organ. Wie von
einem Dutzend wildgewordener Furien gehetzt, sprang er plötzlich auf, rannte
schnellen Schrittes quer hinter den Tresen nach hinten zur Anlage und wühlte in
der Schachtel mit den Kassetten. Die meisten davon hatte er selbst aufgenommen
für solche Augenblicke wie diesen. So kamen wir alle in den Genuss, noch
obskurere Bands kennen zu lernen als die, deren Cds ich selbst mitbrachte.
Heute allerdings entschied er sich - aus welchen Gründen auch immer - für
R.E.M.. Ich entschied, nicht einzuschreiten. Schließlich war ich am Essen und
wenigstens das wollte ich einigermaßen störungsfrei hinter mich bringen.
Weit gefehlt
Schon ging die Tür wieder auf.
Meierling drehte sich um, um zu
sehen, wer da kam. Ich wusste es schon.
„Oh Gott“, plärrte er. „Die
Bescheuerten kommen!“
Dieses Mal hatte er Recht. Die
beiden, die sich nun an den Tresen setzten, kannte ich nur zu gut. Wenn
Meierling in etwa die Höflichkeit einer Filzlaus besaß, so beschränkte sich der
Benimm dieser Zeitgenossen auf den eines Killervirus’.
„Was ißt’n da“, fing der eine
prompt an.
„Schmeckt’s“, fragte der andere.
„Mach ma’ zwei Bier, Chef.“ Das war
der eine.
„Für mich’n Alt, Meister.“ Das
der andere.
Wortlos ließ ich die Spaghetti
Spaghetti sein und brachte den beiden, was sie wollten, bevor es noch Ärger
gab.
„Sieben Minuten war’n das aber
nich“, bemerkte der eine, während der andere sich das Alt eingoss.
„Wir sind eben bekannt für unsere
prompte Bedienung“, sagte ich und widmete mich wieder meinem Essen.
„Ach, bevor du dich hinsetzt“,
grinste jetzt Meierling, „mach’ ma’ noch’n Schnaps, los, auf jetzt!“
Auch recht, die Magno Flasche
stand sowieso in Reichweite.
„Was’n das überhaupt für ‘ne
Scheißmusik“, warf nun der eine ein.
„Läuft da überhaupt was? Also ich
hör’ nix. Mach’ doch ma’ lauter“, warf der andere ein.
„Aber mach’ was anners. Des
Gejaul’ hält ja kaan Mensch aus.“
„Haste nix anners da? Was rockisches.
So’n rischtische Hardrock. Haste nix von Uria Hep da? Oder Blak Sawwatt. Kerle,
kennste die noch?“ fragte der andere den einen.
„Der Ossie, Kerle, der hat’s
gebracht.“
„Oder Niel Jang.“
„Genau, der Niel Jang, der is’ aach
was. Kennste des: Kiep on rocking inse siewörld.“
„Oder Kooldes Eis.“
„Kerle, des war doch von Judas
Briest.“
„Quatsch. Niel Jang.“
„Kerl, biste hohl, des war Judas
Briest.“
„Foreigner war’s“, löste
Meierling das Problem.
„Richtig“, sagte der andere. „Die
warn’s. Jetz’ mach’ ma’ Forrenner.“
„Mach’ erst ma’ zwei Bier.“
„Was ißt’n da überhaupt?“
Der große Gott der Gastronomen
und Schankwirte möge es mir verzeihen, aber in diesem Moment gab es für einen
kurzen Bruchteil eine Sekunde eine Fehlschaltung zwischen meinen Synapsen. Ganz
entgegen meiner Überzeugung, dass alle zahlenden Gäste vor dem Wirt gleich
waren, entschied ich, dass manche von ihnen nicht ganz so gleich waren. Ich
ging mit meinem Teller auf die beiden zu und entleerte dessen Inhalt genau über
ihren Köpfen. „Ich esse Spaghetti“, sagte ich. „Und sie schmecken richtig
lecker. Und jetzt raus hier.“
Im ersten Augenblick waren sie
sprachlos, aber dann überschlugen sie sich geradezu in Drohungen.
„Kerl, des wirste mir büßen.“
„Dich zeig ich an.“
„Genau. Vor’n Kadi kommste.“
„Und die Kneip’ werd discht
gemacht.“
„Und des Hemd zahlste auch.“
„Des schee Hemd.“
Und dann stürmten sie raus wie
zwei begossene Pudel.
Das geschah vor knapp drei
Stunden, und das einzige, das in der Zwischenzeit passierte, war, dass Paul
kam, um mir beim Beine in den Bauch stehen Gesellschaft zu leisten und dann
wieder zu gehen. Ich war mit Meierling allein und der inzwischen bei seinem
achten Magno und siebten Pils angelangt, was seiner Ausdrucksweise deutlich
anzumerken war.
„Ficken“, gröhlte er lauthals
durch das Lokal, während Roky Erickson einem Zombie folgte. Gelangweilt schaute
ich auf die Uhr. Dreiviertel zehn. Meine Güte, noch gut dreieinhalb Stunden und
meine einzige Unterhaltung waren ein drogensüchtiger Außerirdischer und ein
sternhagelblauer Finanzbeamter, dessen Seelenleben auch nicht gerade das war,
was man als konstant bezeichnen konnte. Aber ich dachte an die großen Worte
meines Kneipenwirtkollegen Bunkerwilli, die da lauteten: „Egal wie groß das
Unglück auch sein mag, es wird jeden Abend ein Uhr.“ Ein Gesetz, das so alt wie
die Kneipenkultur selbst war. Nur, manchmal dauerte es eben ein bisschen
länger, bis es soweit war, und genau so ein Tag war heute.
„Zobibombizombibomsambum, meck,
meck“, äffte Meierling den guten, alten Roky nach, und ich wusste, dass er
heute Nacht selbst zum Zombie werden würde, wenn er sich nicht schleunigst ein
Taxi bestellte.
Und dann ging die Tür auf.
Und selbst Romero hätte die Szene
nicht furcherregender arrangieren können, als sie sich jetzt in der Realität, im
wirklichen Leben sozusagen, abspielte.
Meierling, der einen Blick über
die Schulter geworfen hatte, um zu sehen, wer da kam, klatschte seine flache
Hand gegen die Stirn und stieß voller Entsetzen aus: „Auch das noch, der Rote
Dieter. Mensch, schmeiß den Schwätzer raus, los, auf jetzt. Großer Gott, ham
denn heute alle Irre Freigang?“
So etwas Ähnliches dachte ich
auch. Zwei der Freigänger waren hier, und ich überlegte, ob es sein konnte, dass
heute Freitag, der 13. war und nicht Montag, der 4., wie ich den ganzen Tag
angenommen hatte. Das würde vielleicht einiges erklären. Schwarzer Freitag hin,
blauer Montag her, der Rote Dieter kam der Theke immer näher, so dass ich den
Schorf über seinem rechten Auge erkennen konnte, der so frisch war, wie das
Pils, das ich mir soeben gezapft hatte, damit ich wenigstens etwas zu tun hatte. Ganz klar, der Rote
Dieter hatte in der letzten Kneipe wieder um Schläge gebettelt - und war
offensichtlich an den Falschen geraten.
Jetzt legte er die Rechte um
Meierlings Schulter und nahm mit der Linken seine Brille ab, deren einer Bügel
mit Tesafilm notdürftig repariert worden war.
„Ach Meierling“, sagte er. „Was
sind wir heute wieder charmant. Komm, trink’n Schnaps auf mich.“
„Schnaps, Schnaps, meck, meck“,
machte Meierling, und dann energischer: „Fick dich ins Knie Lutscher!“
„Komm“, damit meinte der Rote
Dieter mich. „Mach’ dem Herrn Finanzbeamten ‘nen Magno und mir ‘nen Cuba
Libre.“
Was sollte ich tun? Schließlich
waren die Verrückten in der Übermacht, also tat ich, wie mir geheißen, und
hoffte, dass die Worte des Bunkerwillis auch heute Gültigkeit behalten sollten.
Dann würde ich mehr als nur drei Kreuze in den Kalender machen. Ich stellte den
beiden ihre Schnäpse hin und außerdem fest, daß Roky Erickson ausgesungen
hatte. Sehr gut, das gab mir die Gelegenheit nach hinten zur Anlage zu gehen
und so etwas Abstand zwischen mir und den beiden zu gewinnen. Aber was sollte
ich einlegen? Fuzztones? Cynics? Seeds? Nein, die besser nicht, denn ich wusste,
daß Meierling Sky Saxon nicht ausstehen konnte und Provokationen waren in
dieser Situation nicht gerade angebracht.
Ich hatte gerade Roky Erickson in
seine Hülle gelegt, als es hinter mir schepperte. Dieses Mal kam es nicht aus
der Küche, und den Glauben daran, dass Scherben Glück brachten, hatte ich schon
lange verloren. Ich drehte mich um.
„Was ist denn nun schon wieder
los?“ fragte ich, aber diese Frage war rein rethorisch. Natürlich hatte der
Rote Dieter seinen Cuba Libre umgeworfen, und wie immer war das Glas genau in
den Besteckkasten gefallen, wo es kurz aufschlug, um dann von den in Servietten
gehüllten Messern und Gabeln wie auf einem Trampolin emporgeschleudert zu
werden und einen Salto in der Luft machend sich schließlich den Gesetzen der
Schwerkraft zu beugen. Nicht jedoch, ohne vorher auf der Kühlschrankkante
aufzuschlagen und in vier Teile zu zerspringen. Ich hatte den Vorgang zwar
nicht gesehen, aber so oder so ähnlich trug es sich immer zu, denn der Rote
Dieter bestellte den Schnaps nicht, um ihn zu trinken, sondern um ihn zu
verschütten.
„Muss das denn sein“, fragte ich,
ohne auf Antwort zu warten, und sah mir die Schweinerei im Besteckkasten an.
Soviel war sicher, davon war nichts mehr zu gebrauchen.
„Ich hab’s gleich gesagt: Schmeiß
den Lutscher raus.“
„Auch, halt doch’s Maul.“
„Wichser!“
„Arschloch!“
Und schon ging die Tür wieder
auf. Wenn das so weiter ging, würde die Bude doch noch voll werden. Voll mit
Irren, Idioten und Psychopathen, und der, der jetzt hereinkam, war ihr
Anführer, der Oberpsycho sozusagen. Wang Lee, oder das Gelbe Karzinom, wie er
auch genannt wurde, weil er so überflüssig war wie ein solches und ebenso
ärgerlich. Wie sehr wünschte ich mir in diesem Augenblick wieder meine Grünen
Stadtverordneten zurück ins Lokal. Die meckerten wenigstens nur über die Musik
und warfen Teebeutel in den Aschenbecher, damit man besonders viel Mühe hatte,
diese wieder zu säubern. Alles nichts weltbewegendes, harmlos wie eine
Eintagsfliege, alles nichts im Vergleich zu Wang Lee, der Gelben Gefahr, der
jetzt seinen Glatzkopf in Richtung Theke bewegte.
Schweren Schrittes ging ich auf
ihn zu, während die beiden anderen weiterhin Nettigkeiten austauschten, so als
ginge sie das alles hier nichts an. Einer musste es ja tun, und da außer mir
niemand da war, hatte ich nun die Arschlochkarte in der Hand. Vertrauensvoll
legte ich meine Hand auf die ausgepolsterte Schulter seines roten Samtjacketts.
„Komm schon, Lee“, sagte ich dabei mit sanfter Stimme. „Du weißt doch genau, dass
du hier Lokalverbot hast.“ Aber er schaute mich nur durchdringend aus den
beiden Schlitzen unterhalb seiner Stirn an. Dann packte er meinen Arm und riss
ihn von seiner Schulter.
„Kerl, fass mich’ ja net an,
sonst hol isch daham die Knarr’ und putz dir’s Hirn aus’m Kopp’.“
„Klar doch, aber jetzt gehst du erst mal brav nach Hause. Hier ist doch eh nix mehr los.“
„Klar doch, aber jetzt gehst du erst mal brav nach Hause. Hier ist doch eh nix mehr los.“
Wang Lee beachtete mich überhaupt
nicht, sondern ging schnurstracks auf die beiden Streithähne zu.
„Ditta, geb’ mer ma’ a Kipp.“
„Freilich, Lee.“ Und er bot ihm
eine Marlboro an. „Willst’ was trinken? Komm’, mach’ ma’ drei Schnaps.“
„Du weißt genau, dass Lee hier
Lokalverbot hat, und wenn du so weitermachst, hast du’s auch bald.“
„Jetzt, Kerl, stell dich net so
an.“
„Eich“, mischte sich jetzt Wang
Lee ein und erhob drohend seinen Zeigefinger. „Eich mach’ ich alle platt. A
Atombomb’ schmeiß ich eich enei, dann fliecht alles in die Luft. Ihr werd’s
noch an mich denke.“
„Jetzt reicht’s aber.“ Nun wurde
ich lauter. „Raus jetzt. Am besten alle drei, damit endlich Ruhe ist.“
„Meck, meck“, machte Meierling.
„Schnaps her“, rief der Rote
Dieter.
Belinda stand in der Küchentür
und beobachtete die Szene.
„Schmeiß den Lutscher raus“,
brüllte Meierling. „Meck, meck.“
„Schnaps!“
„Atombomb’. Glaub ja net, ich
mach’s net. Und du“, dabei tippte er mir gegen die Brust, „du bist der erste,
den’s erwischt. Gibt des a Feuerwerk, wenn die Atomgranat’ explodiert.“
„Meck, meck.“
Jetzt war Schluss. Endgültig.
Heute wurde es nicht mehr ein Uhr. Soviel stand fest. Und während Wang Lee
weiter von seinen Atomangriffen faselte, kam mir die rettende Idee, wie ich die
drei loswerden konnte.
„Du kannst dann nach Hause
gehen“, sagte ich zu Belinda. „Heute isst sowieso keiner mehr was.“
„Aber die Spülmaschine läuft
noch.“
„Macht nichts. Um die kümmere ich
mich.“
„Und was ist mit dem da?“ Damit
meinte sie Wang Lee.
„Keine Angst. Mit dem werde ich
schon fertig.“
„Wenn du meinst. Dann geh’ ich
also.“
Ich wartete, bis Belinda ihre
sieben Sachen gepackt hatte und gegangen war. Dann zog ich Pullover und Jacke
an, schnappte meine Tasche und verschwand in den Keller, ohne auf die ‘Schnaps,
Atombomb und Meck, meck’ Rufe vom Tresen zu achten. Sie schenkten mir genauso
wenig Beachtung. Und das war gut so.
In der Werkzeugschublade fand
ich, was ich suchte. Schnur. Acht Meter würden genügen, dachte ich und schnitt
die entsprechende Länge ab. Der nächste Schritt war etwas komplizierter. Nur
mit einer schwachen Taschenlampe als Beleuchtung kletterte ich auf dem riesigen
Öltank herum, der in einem Kabäuschen neben dem Heizungskeller untergebracht
war. Irgendwo musste doch eine Öffnung sein, schließlich musste das Öl ja
irgendwie in den Tank. Endlich fand ich den Schraubdeckel, öffnete ihn und ließ
die Schnur in das Innere hinab. Wie gut, dass wir letzte Woche erst eine
Lieferung bekamen. Das Ding war so gut wie voll. Ich tränkte die Kordel im Öl
und zog sie dann wieder heraus, so dass nur noch das eine Ende in der
schmierigen Brühe hing. Das andere zog ich hinter mir her, während ich aus dem
Kabäuschen herauskrabbelte, den Heizungskeller verließ und schließlich die Kellertür,
die quasi als Notausgang fungierte, öffnete. „Meck, meck“, sagte ich, als ich
mein Feuerzeug zückte und die Zündschnur ansteckte. Dann verließ ich den
Schwarzen Adler.
Ich drehte mich nicht mehr um,
obwohl es sicher ein gewaltiges Feuerwerk geben würde, wenn auch nicht so
imposant wie eine Atomexplosion. Nur eines ärgerte mich, als ich hinter mir den
großen Knall hörte. Ich hätte das Wechselgeld mitnehmen sollen. Ein wenig
Startkapital würde ich sicher gebrauchen können, wenn ich meine 25 Jahre abgesessen
hatte.