Wow! Das muss man sich
auf der Zunge zergehen lassen. Die BILD-Zeitung berichtet vom
Wiedertreffen des Ex-Bundespräsidenten mit seiner Ex-Frau. Ort des
Zusammentreffens: ein Bruce Springsteen Konzert. Schon fühlt sich
ausgerechnet Cem Özdemir auf seiner Facebook Seite dazu aufgerufen,
die Ehre des Rock'n'Roll zu retten. Den Wulffens und Guttenbergs (ein
bekennender AC/DC Fan) ruft er zu: Lasst den Rock'n'Roll in Ruhe. Ich
gebe zu, Özdemir ist einer der wenigen Spitzenpolitiker, die mir –
zumindest menschlich – einigermaßen sympathisch sind. Rhetorisch
vielleicht nicht immer auf der Höhe, aber zumindest nimmt man ihm
das, was er sagt, einigermaßen ab. Meistens. Als Politiker mit
muslimischen Migrationshintergrund ist er außerdem das
Paradebeispiel für gelungene Integration und Beweis dafür, dass man
auch als Türkischstämmiger in der X-ten Generation willens und dazu
in der Lage sein kann, die deutsche Sprache zu erlernen. Özdemir
gibt sich nett. Er ist gut gekleidet, hat Manieren. Der perfekte
Schwiegersohn. Das Gegenteil eines Rock'n'Rollers. Überhaupt: die
Grünen und Rock'n'Roll, das passt ungefähr so zusammen wie Bushido
und Frauenrechte. Gut, man weiß, Claudia Roth war mal Managerin von
Ton Steine Scherben. In dieser Zeit ging das Projekt Scherben pleite
und die Band löste sich auf. Ein Schelm, wer hier einen Zusammenhang
sieht.
Als wäre das nicht alles
schon peinlich genug, kontert Daniel Fallenstein ausgerechnet auf der
Achse des Guten und erklärt, Rock'n'Roll und explizit Punkrock sei
doch eher die Domäne der Konservativen und zitiert dabei den
verstorbenen Ramones Gitarristen Johnny Ramone. Er beweist damit
nicht nur, dass er von Rock'n'Roll keine Ahnung hat, noch weniger
scheint er sich in der Frühgeschichte des Punkrock auszukennen.
Johnny Ramone war, mit Verlaub gesagt, nicht nur konservativ, er war
ein Rassist. Er machte sich über Schwarze lustig, sympathisierte
offensichtlich, zumindest zeitweise, mit dem Ku Klux Klan und war
auch ansonsten ein ziemliches Arschloch. Zumindest diese letzte
Eigenschaft war eine gute Voraussetzung, um ein Rock'n'Roll Star zu
werden. Nur, darum ging es in der Frühphase des Punkrocks überhaupt
nicht. Es ging noch nicht einmal um Musik. Es ging vor allen darum,
anders zu sein, als der Mainstream, die Dinge selbst in die Hand zu
nehmen und das am besten mit dem Kumpel, der im Abbruchhaus nebenan
rumhängt und sonst nichts besseres zu tun hat, als Pattex zu
schnüffeln. Johnny Ramone hatte das Glück, einen solchen Kumpel zu
haben, nämlich den jüdischen, linksliberalen Schlagzeuger Joey
Ramone, der später ans Mikrophon wechselte. Die Ramones waren keine
politische Band (wie auch die meisten anderen frühen Bands. Man sang
nicht über die Revolution, sondern vom Dreck, der einen umgab, von
Hoffnungslosigkeit, von den Drogen, die einen in der Mangel hatten.
Die politisch motivierten Bands kamen erst später wie etwa Crass,
Dead Kennedys oder UK Subs), aber sie waren ein Politikum. In der
Tat, sie veränderten die Musik nachhaltig, aber nicht aufgrund
Johnny Ramones politischer Ansichten. Hätten diese Eingang in die
Texte gefunden, hätten die Ramones das Jahr 1976 nicht überstanden.
Glücklicherweise schrieb Dee Dee Ramone die meisten Songs, auch
nachdem er schon gar nicht mehr dabei war. Und als jemand, der
ständig am Rand des Todes stand, hatte der wenigstens Ahnung vom
Leben. Nachdem Johnny Joey auch noch die Freundin ausgespannt hatte,
statt seinem Kumpel dankbar zu sein, rächte dieser sich mit dem
herrlichen Song: The KKK took my Baby away. So sagen es die Gerüchte.
Tatsache ist jedoch, dass die beiden ab diesem Moment kein Wort mehr
miteinander gewechselt hatten. Ab diesem Moment waren die Ramones
keine Band mehr, sondern ein Geschäftsunternehmen und der
Geschäftsführer war Johnny. Davon hatte er Ahnung. Und gut, Gitarre
spielen konnte er auch. Er hielt das Projekt Ramones finanziell am
Laufen und die Ramones taten das, was man von ihnen verlangte. Sie
lieferten routinierte onetwothreefour-songs ab. Mit Punk hatte das
nichts mehr zu tun, aber ein Ramones Konzert zu besuchen und sich
einen Tinnitus einzufangen, war allemal besser als auf der Straße
rumzuhängen und nichts zu tun. Ehrlich gesagt konnte ein Ramones
Konzert zum großartigsten Ereignis eines Lebens werden.
Was aber wäre aus Johnny
Ramone ohne Punk geworden? Ohne seine Offenheit? Denn das war er in
der Frühphase tatsächlich, denn jeder konnte mitmachen, ob man was
konnte oder nicht, die Idee war das Ziel, nicht das fertige Produkt?
Ohne einen Kumpel, der sagt: „Hey du bist zwar ein rechtes
Arschloch, aber wir können trotzdem eine coole Band haben“?
Vielleicht hätte er angefangen mit der Arian Brotherhood zu
sympathisieren, hätte in einer drittklassigen südstaatenmäßigen
Band Songs über die Vorzüge der Sklaverei geschrieben oder noch
schlimmeres. Vielleicht. Auf jeden Fall hat nicht Johnny Ramones
Konservatismus den Punk beeinflusst, sondern Punk Johnny Ramone. Er
hat ihn davor bewahrt, ein noch größeres Arschloch zu werden und
von allen gehasst statt, wie es gekommen ist, bewundert zu werden.
Sowohl Cem Özdemir als
auch Daniel Fallenstein laufen ins Leere, wenn sie die Attitüde des
Rock'n'Roll für sich beanspruchen. Johnny Rotten Lydon hätte für
die beiden wohl nicht mal ein Stück Rotz übrig. Rock'n'Roll war,
wenn er gut war, subversiv und vor allem gefährlich. Nichts, womit
sich Spitzenpolitiker und Jungblogger die Finger schmutzig machen
würden. Rock'n'Roll bedeutete immer auch Randale, Aufstand und
Zerstörung der alten Werte. Rock'n'Roll endete in Zerwürfnissen mit
der Vorgängergeneration, mit Straßenschlachten, Hausbesetzungen und
sonstigen unartigen Handlungen, die ich hier lieber nicht beschreiben
möchte. Aber lange ist es her. Sucht man in der heutigen Musik nach
einem subversiven Moment, dann landet man höchstens bei
sexistischen, homophoben Rappern oder grölenden Nazibands, und das
braucht wirklich kein Mensch.
Rock'n'Roll hat schon
lange nichts mehr mit Rebellion, Freiheit, Wildheit, Aufsässigkeit
und nur noch am Rande mit Sex und Drogen etwas zu tun. Die, die in
den Sechzigern nach einem Rolling Stones Konzert die Berliner
Waldbühne auseinandergenommen haben (weil das Konzert zu kurz war)
sind die selben Leute, die heute für 500 Euro für ein Stones
Konzert bezahlen, im Stadion Street Fighting Man, Sympathy for the
Devil und I can't get no Satisfaction mitgrölen, aber eine Krise
kriegen, wenn der Rasen des Nachbarn nicht ordentlich getrimmt ist.
Es sind die gleichen Leute, die Bürgerinitiativen gründen, wenn im
Umkreis von fünf Kilometern ein Jugendzentrum eröffnet werden soll
oder andere Läden, in denen sich Leute unter 30 treffen könnten, um
Live-Bands zu hören, während sie selbst am Wochenende zur Oldie-
oder Tributeband in den SchickieMickie Club rennen, um sich mal
wieder so richtig wild und frei fühlen zu können, wenn
drittklassige Bands The Who und Beatles covern. Statt wirklich wild
und frei zu sein, vegetieren sie dahin in Selbstmitleid und
terrorisieren ihre Mitmenschen, vor allem wenn diese jünger sind,
als sie selbst, weil sie ihre Seele verkauft haben für ein
Reihenhaus und ein spritfressendes Statussymbol vor dem Garagentor.
Es sind die gleichen Leute, die nach dem Jugendamt schreien, wenn ein
Kind gegen einen Straßenbaum pinkelt, weil es nicht mehr bis zu
Hause aushalten kann, während die Gehsteige vollgeschissen sind von
ihren Kötern, die sie sich halten, weil ihre eigenen Kinder
ausgezogen sind und sie sonst nicht wissen, wofür sie leben sollen.
Und ihre Superhelden sind noch degenerierter, all die Daltreys,
Pages, Jaggers, Westernhagens usw., von denen man nichts anderes
lernen kann, als dass man mit den selben beschissenen, langweiligen,
zwanzig Songs noch mehr Kohle verdienen kann. Die Guttenbergs, die
Wulffs, die Özdemirs, die Fallensteins wollen AC/DC, Led Zeppelin,
die Stones, The Woh, Bruce Springsteen? Sollen sie's doch haben. Den
Dreck braucht keiner. Und Joschka Fischer, der letzte Rock'n'Roller?
Da muss ich doch mal extrem laut auflachen. Vielleicht hat er ja
tatsächlich noch die „Keine Macht für Niemand“ Platte von Ton
Steine Scherben in seinem Plattenschrank, und vielleicht hört er
sogar mal heimlich rein, um sich an alte Straßenkämpfertage zu
erinnern, aber sie ist bestimmt so gut versteckt, dass sie keiner
findet. Wenn es überhaupt noch sowas wie „letzte Rock'n'Roller“
gibt, dann sind das Typen wie Chris Hyde, die mit 73 Jahren lieber
wochenlang Brennesselsuppe schlürfen, als sich auch nur um einen
Millimeter zu verbiegen, wenn es gegen die eigene Überzeugung geht.
In Wirklichkeit hat das, was man heute Rock'n'Roll nennt noch nicht
einmal mehr etwas mit irgendeiner Art von Kreativität zu tun. Musik
wird produziert, um von zahlungskräftigen Usern konsumiert zu
werden. Eine beliebige Ware wie Unterhosen, Zahnbürsten oder
Hundefutter. Da hör ich mir lieber die Band aus dem Nachbarproberaum
an, die zwar kaum drei Akkorde beherrscht, aber deren Musik aus dem
Herzen kommt und nicht deshalb gespielt wird, um reich und berühmt
zu werden.
In einem Gedicht von mir
aus dem Band Land der Seelenfresser aus dem Jahr 2000, das
zufälligerweise den Titel Rock'n'Roll hat, heißt es: „Rock'n'Roll
ist schmutzig wie eine verschissene Unterhose“. Mit solchen
Utensilien hantieren wohl weder Herr Fallenstein noch Herr Özdemir.
Aber keine Sorge, das gibt es nicht mehr. Heute ist Rock'n'Roll nicht
mehr schmutzig. Ja, er ist noch nicht mal mehr laut, dank gewisser
Gesetze gewisser Politiker. Und stinken tut man auch nicht mehr nach
dem Besuch eines Rock'n'Roll Konzertes. Darf ja nicht mehr geraucht
werden. Danke, ihr habt uns vom Übel Rock'n'Roll befreit.