Freitag, 31. Mai 2013

Das konservative Moment im Rock'n'Roll oder wie zwei Männer denselben retten wollen

Wow! Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die BILD-Zeitung berichtet vom Wiedertreffen des Ex-Bundespräsidenten mit seiner Ex-Frau. Ort des Zusammentreffens: ein Bruce Springsteen Konzert. Schon fühlt sich ausgerechnet Cem Özdemir auf seiner Facebook Seite dazu aufgerufen, die Ehre des Rock'n'Roll zu retten. Den Wulffens und Guttenbergs (ein bekennender AC/DC Fan) ruft er zu: Lasst den Rock'n'Roll in Ruhe. Ich gebe zu, Özdemir ist einer der wenigen Spitzenpolitiker, die mir – zumindest menschlich – einigermaßen sympathisch sind. Rhetorisch vielleicht nicht immer auf der Höhe, aber zumindest nimmt man ihm das, was er sagt, einigermaßen ab. Meistens. Als Politiker mit muslimischen Migrationshintergrund ist er außerdem das Paradebeispiel für gelungene Integration und Beweis dafür, dass man auch als Türkischstämmiger in der X-ten Generation willens und dazu in der Lage sein kann, die deutsche Sprache zu erlernen. Özdemir gibt sich nett. Er ist gut gekleidet, hat Manieren. Der perfekte Schwiegersohn. Das Gegenteil eines Rock'n'Rollers. Überhaupt: die Grünen und Rock'n'Roll, das passt ungefähr so zusammen wie Bushido und Frauenrechte. Gut, man weiß, Claudia Roth war mal Managerin von Ton Steine Scherben. In dieser Zeit ging das Projekt Scherben pleite und die Band löste sich auf. Ein Schelm, wer hier einen Zusammenhang sieht.
Als wäre das nicht alles schon peinlich genug, kontert Daniel Fallenstein ausgerechnet auf der Achse des Guten und erklärt, Rock'n'Roll und explizit Punkrock sei doch eher die Domäne der Konservativen und zitiert dabei den verstorbenen Ramones Gitarristen Johnny Ramone. Er beweist damit nicht nur, dass er von Rock'n'Roll keine Ahnung hat, noch weniger scheint er sich in der Frühgeschichte des Punkrock auszukennen. Johnny Ramone war, mit Verlaub gesagt, nicht nur konservativ, er war ein Rassist. Er machte sich über Schwarze lustig, sympathisierte offensichtlich, zumindest zeitweise, mit dem Ku Klux Klan und war auch ansonsten ein ziemliches Arschloch. Zumindest diese letzte Eigenschaft war eine gute Voraussetzung, um ein Rock'n'Roll Star zu werden. Nur, darum ging es in der Frühphase des Punkrocks überhaupt nicht. Es ging noch nicht einmal um Musik. Es ging vor allen darum, anders zu sein, als der Mainstream, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und das am besten mit dem Kumpel, der im Abbruchhaus nebenan rumhängt und sonst nichts besseres zu tun hat, als Pattex zu schnüffeln. Johnny Ramone hatte das Glück, einen solchen Kumpel zu haben, nämlich den jüdischen, linksliberalen Schlagzeuger Joey Ramone, der später ans Mikrophon wechselte. Die Ramones waren keine politische Band (wie auch die meisten anderen frühen Bands. Man sang nicht über die Revolution, sondern vom Dreck, der einen umgab, von Hoffnungslosigkeit, von den Drogen, die einen in der Mangel hatten. Die politisch motivierten Bands kamen erst später wie etwa Crass, Dead Kennedys oder UK Subs), aber sie waren ein Politikum. In der Tat, sie veränderten die Musik nachhaltig, aber nicht aufgrund Johnny Ramones politischer Ansichten. Hätten diese Eingang in die Texte gefunden, hätten die Ramones das Jahr 1976 nicht überstanden. Glücklicherweise schrieb Dee Dee Ramone die meisten Songs, auch nachdem er schon gar nicht mehr dabei war. Und als jemand, der ständig am Rand des Todes stand, hatte der wenigstens Ahnung vom Leben. Nachdem Johnny Joey auch noch die Freundin ausgespannt hatte, statt seinem Kumpel dankbar zu sein, rächte dieser sich mit dem herrlichen Song: The KKK took my Baby away. So sagen es die Gerüchte. Tatsache ist jedoch, dass die beiden ab diesem Moment kein Wort mehr miteinander gewechselt hatten. Ab diesem Moment waren die Ramones keine Band mehr, sondern ein Geschäftsunternehmen und der Geschäftsführer war Johnny. Davon hatte er Ahnung. Und gut, Gitarre spielen konnte er auch. Er hielt das Projekt Ramones finanziell am Laufen und die Ramones taten das, was man von ihnen verlangte. Sie lieferten routinierte onetwothreefour-songs ab. Mit Punk hatte das nichts mehr zu tun, aber ein Ramones Konzert zu besuchen und sich einen Tinnitus einzufangen, war allemal besser als auf der Straße rumzuhängen und nichts zu tun. Ehrlich gesagt konnte ein Ramones Konzert zum großartigsten Ereignis eines Lebens werden.
Was aber wäre aus Johnny Ramone ohne Punk geworden? Ohne seine Offenheit? Denn das war er in der Frühphase tatsächlich, denn jeder konnte mitmachen, ob man was konnte oder nicht, die Idee war das Ziel, nicht das fertige Produkt? Ohne einen Kumpel, der sagt: „Hey du bist zwar ein rechtes Arschloch, aber wir können trotzdem eine coole Band haben“? Vielleicht hätte er angefangen mit der Arian Brotherhood zu sympathisieren, hätte in einer drittklassigen südstaatenmäßigen Band Songs über die Vorzüge der Sklaverei geschrieben oder noch schlimmeres. Vielleicht. Auf jeden Fall hat nicht Johnny Ramones Konservatismus den Punk beeinflusst, sondern Punk Johnny Ramone. Er hat ihn davor bewahrt, ein noch größeres Arschloch zu werden und von allen gehasst statt, wie es gekommen ist, bewundert zu werden.
Sowohl Cem Özdemir als auch Daniel Fallenstein laufen ins Leere, wenn sie die Attitüde des Rock'n'Roll für sich beanspruchen. Johnny Rotten Lydon hätte für die beiden wohl nicht mal ein Stück Rotz übrig. Rock'n'Roll war, wenn er gut war, subversiv und vor allem gefährlich. Nichts, womit sich Spitzenpolitiker und Jungblogger die Finger schmutzig machen würden. Rock'n'Roll bedeutete immer auch Randale, Aufstand und Zerstörung der alten Werte. Rock'n'Roll endete in Zerwürfnissen mit der Vorgängergeneration, mit Straßenschlachten, Hausbesetzungen und sonstigen unartigen Handlungen, die ich hier lieber nicht beschreiben möchte. Aber lange ist es her. Sucht man in der heutigen Musik nach einem subversiven Moment, dann landet man höchstens bei sexistischen, homophoben Rappern oder grölenden Nazibands, und das braucht wirklich kein Mensch.
Rock'n'Roll hat schon lange nichts mehr mit Rebellion, Freiheit, Wildheit, Aufsässigkeit und nur noch am Rande mit Sex und Drogen etwas zu tun. Die, die in den Sechzigern nach einem Rolling Stones Konzert die Berliner Waldbühne auseinandergenommen haben (weil das Konzert zu kurz war) sind die selben Leute, die heute für 500 Euro für ein Stones Konzert bezahlen, im Stadion Street Fighting Man, Sympathy for the Devil und I can't get no Satisfaction mitgrölen, aber eine Krise kriegen, wenn der Rasen des Nachbarn nicht ordentlich getrimmt ist. Es sind die gleichen Leute, die Bürgerinitiativen gründen, wenn im Umkreis von fünf Kilometern ein Jugendzentrum eröffnet werden soll oder andere Läden, in denen sich Leute unter 30 treffen könnten, um Live-Bands zu hören, während sie selbst am Wochenende zur Oldie- oder Tributeband in den SchickieMickie Club rennen, um sich mal wieder so richtig wild und frei fühlen zu können, wenn drittklassige Bands The Who und Beatles covern. Statt wirklich wild und frei zu sein, vegetieren sie dahin in Selbstmitleid und terrorisieren ihre Mitmenschen, vor allem wenn diese jünger sind, als sie selbst, weil sie ihre Seele verkauft haben für ein Reihenhaus und ein spritfressendes Statussymbol vor dem Garagentor. Es sind die gleichen Leute, die nach dem Jugendamt schreien, wenn ein Kind gegen einen Straßenbaum pinkelt, weil es nicht mehr bis zu Hause aushalten kann, während die Gehsteige vollgeschissen sind von ihren Kötern, die sie sich halten, weil ihre eigenen Kinder ausgezogen sind und sie sonst nicht wissen, wofür sie leben sollen. Und ihre Superhelden sind noch degenerierter, all die Daltreys, Pages, Jaggers, Westernhagens usw., von denen man nichts anderes lernen kann, als dass man mit den selben beschissenen, langweiligen, zwanzig Songs noch mehr Kohle verdienen kann. Die Guttenbergs, die Wulffs, die Özdemirs, die Fallensteins wollen AC/DC, Led Zeppelin, die Stones, The Woh, Bruce Springsteen? Sollen sie's doch haben. Den Dreck braucht keiner. Und Joschka Fischer, der letzte Rock'n'Roller? Da muss ich doch mal extrem laut auflachen. Vielleicht hat er ja tatsächlich noch die „Keine Macht für Niemand“ Platte von Ton Steine Scherben in seinem Plattenschrank, und vielleicht hört er sogar mal heimlich rein, um sich an alte Straßenkämpfertage zu erinnern, aber sie ist bestimmt so gut versteckt, dass sie keiner findet. Wenn es überhaupt noch sowas wie „letzte Rock'n'Roller“ gibt, dann sind das Typen wie Chris Hyde, die mit 73 Jahren lieber wochenlang Brennesselsuppe schlürfen, als sich auch nur um einen Millimeter zu verbiegen, wenn es gegen die eigene Überzeugung geht. In Wirklichkeit hat das, was man heute Rock'n'Roll nennt noch nicht einmal mehr etwas mit irgendeiner Art von Kreativität zu tun. Musik wird produziert, um von zahlungskräftigen Usern konsumiert zu werden. Eine beliebige Ware wie Unterhosen, Zahnbürsten oder Hundefutter. Da hör ich mir lieber die Band aus dem Nachbarproberaum an, die zwar kaum drei Akkorde beherrscht, aber deren Musik aus dem Herzen kommt und nicht deshalb gespielt wird, um reich und berühmt zu werden.
In einem Gedicht von mir aus dem Band Land der Seelenfresser aus dem Jahr 2000, das zufälligerweise den Titel Rock'n'Roll hat, heißt es: „Rock'n'Roll ist schmutzig wie eine verschissene Unterhose“. Mit solchen Utensilien hantieren wohl weder Herr Fallenstein noch Herr Özdemir. Aber keine Sorge, das gibt es nicht mehr. Heute ist Rock'n'Roll nicht mehr schmutzig. Ja, er ist noch nicht mal mehr laut, dank gewisser Gesetze gewisser Politiker. Und stinken tut man auch nicht mehr nach dem Besuch eines Rock'n'Roll Konzertes. Darf ja nicht mehr geraucht werden. Danke, ihr habt uns vom Übel Rock'n'Roll befreit.

Sonntag, 26. Mai 2013

Autoren stellen sich vor

Wenn ich sowas lese
Bekomme ich gleich
Ne Krise
So steht es auf ungezählten
Schlecht gedruckten
Anthologien als Untertitel
Zu lesen sind Gedichte
Die zwischen
Sonntagnachmittagsstreuselkuchen
Und Abendbrot
In geschwungenen Buchstaben
Mit rotem Füller
In linierte Hefte geschrieben wurden
Belanglose Namen stehen
Unter Fotos mit belanglosen
Gesichtern die so
Austauschbar sind wie
Tütensuppen im Supermarktregal
Dieselben Gesichter die man
An den Ständen gewisser
Verlage sehen kann
Die sich als Dienstleister sehen
Nur dass sie keine Dienstleistung
Erbringen obwohl sie
Bezahlt werden
Da stehen sie rum mit
Namensschildern ausgerüstet
Ein Glas irgendwas in der Hand
Sie stecken in grauen Anzügen
Oder cremefarbenen Kostümen
Als befänden sie sich auf
Einer Beerdigung ein paar
Letzte Worte ein Toast
Auf den Verstorbenen
Und genau so ist es auch
Beerdigt werden ihre Bücher
Wenige Tage später wenn
Die Messeleitung die
Reinigungskräfte in das
Gewirr der Gänge schickt
Die die vom Verlag achtlos
Liegengelassenen Machwerke
Zu Hunderten dorthin verfrachten
Wo sie hingehören
Ins Altpapier

Wenn sich irgendwo
Autoren vorstellen
Mach ich einen großen Bogen
Dann schon lieber
Fernsehen
Da kann man wenigstens noch
Was lernen
Nämlich
Dass Dummheit
Niemals ausstirbt

Sonntag, 12. Mai 2013

Die Russen kommen



Geh doch nach drüben
War ein Satz den
Ich all zu oft zu hören
Bekam als ich noch
Ein Teenager war
Meine Haare mit Henna
Färbte und in meinem Kopf
Theorien von einer
Gerechteren Welt entwickelte

Mit drüben meinten sie
Jenes dunkle Land hinter
Dem Zaun von dem man
Nichts wusste außer dass
Man seinen Namen in
Anführungsstrichen schreiben
Musste und dass dort keine
Menschen wohnten sondern Monster

Dieses Land gehörte zum
Reich des Bösen das von
Einem großen Bruder mit
Pelzkappe beherrscht wurde
Den man allgemein nur Iwan
Nannte obwohl er doch
Ganz anders hieß

Genau dort wünschte man so
Welche wie mich hin wenn
Wir wütend waren und nach
Dem Strand unter dem
Pflaster suchten die
Die Europa von Stalingrad
Bis Coventry in Schutt und
Asche gelegt hatten waren
Erzürnt über zwei zerbrochene
Fensterscheiben und eine
Farbschmiererei an einer
Grauen Betonwand

Denn sie hatten Angst
Sie hatten Angst dass er
Kommen würde
Der Iwan
Dass er sich rächen würde
Und mit ihm kämen
Dunkelheit und Zerfall
Und das Ende ihrer
Gartenzwergkultur

Und er kam
An einem Tag im Mai
Landete sein Flugzeug
Vor den Toren der Hauptstadt
Und ein roter Teppich
Wurde ausgerollt und
Eine Militärkapelle spielte
Eine traurige Hymne

Der Iwan war
Da

(Die Russen kommen, Songtitel von Neues Deutschland aus dem Album BRD DDR von 1981)