Oder
Wie ich die Toten Hosen in
Langenselbold einführte
(Gedanken nach der Lektüre
von Philipp Oehmkes Buch: Am Anfang war der Lärm)
Muss man die Toten Hosen
mögen? Eine Band, die als postpubertärer anarchischer Haufen,
entsprungen den letzten Resten der Punkszene, anfing und sich
innerhalb von drei Jahrzehnten in Rockdinosaurier verwandelte, in
eine Mainstreampopband, in Deutschlands erfolgreichste Band
überhaupt, deren Songs selbst von Schlagersternchen wie Helene
Fischer gecovert werden?
Ich kenne die Toten Hosen
noch aus einer Zeit, als sie, zumindest zwei-fünftel von ihnen, noch
ZK hießen, eine Chaostruppe aus dem Umfeld des Düsseldorfer
Ratinger Hofes. Sie hatten zwei Songs auf dem legendären Soundtracks
zum Untergang Sampler unterbringen können und unterschieden sich mit
ihrem Hurra ich bin genormt angenehm von den anderen
Samplerbeiträgen, die sich zumeist in Destruktivität und
Phrasendrescherei ergaben. Slimes berüchtigtes Polizei SA SS war
darauf zum ersten Mal zu hören, ein Song, der sich schnell zum
Schlachtruf auf Startbahn West- und Hausbesetzerdemos entwickelte und
der unter anderem dafür verantwortlich war, dass die Platte in
späteren Auflagen nur noch zensiert zu hören war. Ein Bekannter
hatte mir den Sampler auf Kassette überspielt. Er hatte ihn selbst
nur auf Tape und das war von einem anderen kopiert. An solche Platten
heranzukommen war so gut wie unmöglich, vor allem, wenn man wie ich
in einem Kaff namens Langenselbold wohnte, wo man den Bauern beim
Blutwurstrühren zuschauen konnte, wenn man aus dem Fenster sah.
Klar, dass man bei der Qualität Abstriche machen musste.
Vor allem aber kannte ich
ZK von Fotos aus dem Sounds Magazin, meinem Fenster zur Außenwelt,
und aus der Rock Session Reihe, die Jahr um Jahr im Rowohlt Verlag
erschien und sich um 1979 herum auch mit der aufkommenden deutschen
Punk- und Wave Szene beschäftigte.
Im nächst größerem Ort
Hanau, einer heruntergekommenen Industriestadt und zu jenem Zeitpunkt
Europas größte Garnison der Amerikaner, gab es einen Second Hand
Laden, der von einen jungen Hippie betrieben wurde. Man konnte dort
Bücher von Hermann Hesse, Castaneda und Lovecraft kaufen oder
Lammfelljacken, modische Blümchenhemden, solche Sachen eben. Unter
der Theke gab es selbst gebastelte Wasserpfeifen und wenn man einen
Zehner zusätzlich dazu legte, bekam man auch das dafür benötigte
Kraut. In einer Ecke gab es ein Plattenregal. Hier stöberte ich hin
und wieder nach der Schule, obwohl dort zumeist nur Eloy, Tangerine
Dream oder Pink Floyd zu finden waren. Aber hin und wieder hatte ich
Glück und fischte eine Best of Kinks heraus. Das war zwar nicht
Punk, kam der Sache aber schon recht nahe.
Aber so um 1981 herum zog
ich den Jackpot aus dem Stapel: Zks Eddies Salon, die Erstpressung
mit falsch gedrucktem Cover. Für fünf Mark. Ganz offensichtlich
hatte der Hippie keine Ahnung, welches Juwel sich da in seinem Laden
befand. Er hätte locker das drei- oder vierfache verlangen können.
Ein Ignorant. Ich knallte den Fünfer auf die Theke, dann ab in den
Bus und nach Hause in mein Bauernkaff. Die Platte musste gehört
werden. Sofort.
Aber die Platte war ganz
anders als ich erwartet hatte. Schon beim ersten Song hörte man,
dass hier Dilettanten am Werk waren. Aber geniale. Die Musik grenzte
sich deutlich ab von den anderen Bands, die ich bisher ergattern
konnte. Amok Koma von Abwärts war so etwas wie Beethoven für Punks.
Slime übten sich im Hochgeschwindigkeitspogo und als Parolengeber
für militante Hausbesetzerdemos. Fehlfarbens Monarchie und Alltag
hatte sich schon vom üblichen Punkgefüge gelöst. Ein durch und
durch nihilistisches Werk. Der KFC, eine Truppe aus Schlägern und
Trinkern, spielte auf Letzte Hoffnung zwar skandalträchtig mit NS
Symbolik, aber letztendlich war deren Musik nichts anderes als etwas
schnellerer Rock'n'Roll. Was all diesen Bands jedoch gemeinsam war,
war: sie nahmen sich furchtbar ernst. Sie hatten etwas zu sagen, oder
glaubten es zumindest, sie wollten eine Message in die Welt senden
oder zumindest als Chronisten des angehenden Jahrzehnts fungieren, an
dessen Ende zweifelsfrei der Untergang stehen würde.
Nicht so ZK. Schon
musikalisch unterschieden sie sich von den übrigen Punkbands. Zwar
fand sich auch der ein oder andere Pogosong auf der Platte, aber Dank
des Bassisten Isi, einem Teddy Boy, fanden auch Rockabilly und selbst
Country Songs aufs Vinyl. Eigentlich undenkbar, fochten Punks und
Teds zu dieser Zeit noch einen recht sinnlosen Krieg aus, der nicht
selten zu Massenschlägereien führte. Teddys Stadt war so ein Song
oder der Badewannen Billy. Herrlich auch das hauptsächlich auf
Kinderinstrumenten gespielte Kleine Sünder. Der Putzfrauen Song,
eine Ode an die Schlampigkeit, und natürlich die Trinkerhymne
Dosenbier (Flaschenbier? Nicht mit mir, Bier aus dem Fass ist was ich
hass, Dosenbier wollen wir!). Zwischen all dem kurze Hörspiele (Der
große Bankraub, Isi geht und fällt). Selbst die Pausen zwischen den
Songs wurden betitelt (die große Langeweile Part 1 -). Kein Zweifel,
dieser Haufen missratener Teenager mochte zwar musikalisch nur in der
Kreisliga spielen, aber die Jungs hatten Spaß dabei. Sie hatten
Humor, eine Eigenschaft, die den meisten zeitgenössischen Bands
abhanden gekommen war und die man höchstens noch bei den Radieren
fand.
Als kurze Zeit später
die Liveplatte Leichen pflasterten ihren Weg herauskam, hatte sich
Band bereits aufgelöst, aber auf dem Beipackzettel wurde der neue
Kult der Toten Hosen angekündigt.
Jetzt, mehr als 30 Jahre
später, legt Philipp Oehmke mit Am Anfang war der Lärm eine
Biographie dieses Kultes vor, eines Kultes, der längst zum
flächendeckenden Massenphänomen geworden ist. Oehmke, seit langen
Jahren Journalist für den Spiegel, passte als jugendlicher Fan 1988
die Band für ein Autogramm am Eingang des Bonner Theaters ab, wo sie
das musikalische Rahmenprogramm für die Theaterfassung von Anthony
Burgess Clockwork Orange bestritt. Ein paar Jahre später interviewte
er die Band für eine Schülerzeitung. Seitdem sind der spätere
Journalist und die einstigen Punkrocker befreundet. Oehmke ist zu
jung, um das Entstehen der Punkrockbewegung Mitte der Siebziger Jahre
bewußt miterlebt zu haben oder die frühe NDW, als diese noch nicht
zur Schlagermusik verkommen war. Selbst die Gründung der Toten Hosen
hat er verpasst. Deshalb muss er sich auch nicht die Frage nach dem
Verrat der Band an der Bewegung stellen.
Oehmkes Buch ist keine
Biographie im herkömmlichen Sinne. Es ist nicht chronologisch
konzipiert – Geburt, Kindergarten, Schule, Ausbildung, Beruf, Tod
-, sondern thematisch gegliedert, Drogen, Trennungen, Krisen. Es
beginnt mit einem Anruf. Die Kanzlerin höchstpersönlich meldet sich
bei den Sex Pistols und Johnny Thunders Epigonen an … um sich zu
entschuldigen. Was war passiert? Schon im Wahlkampf hatte die CDU den
Hosenmegahit An Tagen wie diesen missbraucht. Das hat bei den
Christdemokraten offensichtlich Tradition, hatten sie sich doch Jahre
zuvor schon wegen des Abspielens des Hits Angie mit den Rolling
Stones angelegt, die solcherlei Art Werbung gar nicht spaßig fanden.
Trotz eines empörten Vetos der Band hatte ausgerechnet Volker Kauder
nach dem Wahlsieg es gewagt, besagten Titel nicht nur abzuspielen,
sondern auch noch lauthals mitzusingen, was selbst die Rautenfrau im
Hosenanzug sichtlich entsetzte. Kann es für eine Punkrock Band
überhaupt irgendetwas demütigerendes geben als einen
Entschuldigungsanruf der Regierungschefin?
Wer hätte das 1982
vorausahnen können, als sich die Reste von ZK mit ein paar Freunden
(u.a. Trini Trinpop vom schon erwähnten KFC) zusammentaten, um eine
Platte aufzunehmen, die von schnellen Autos handelte, von freier
Liebe auf dem Rasen und natürlich vom Saufen. Opel Gang konnte man
schon ganz normal und große Sucherei kaufen. Es war ganz einfach.
Man brauchte niemanden mehr zu kennen, der jemanden kannte, der einen
Freunde hatte, der von jemanden wußte, der eine Aufnahme der Platte
auf Kassette hatte. Im Plattenladen in der Frankfurter B-Ebene stand
sie im Punk und New Wave Regal zwischen UK Subs, Einstürzende
Neubauten und Dead Kennedys.
In meinem Bauernkaff, in
dem ich meine traurige Teenagerzeit verbrachte, gab es nichts zu tun
außer rumzuhängen, sich zu betrinken oder sich mit der aufkommenden
Grünjackenszene herumzuschlagen. Zwei Mal in der Woche ging ich
abends in den evangelischen Jugendtreff Quo Vadis im Keller des
Gemeindezentrums, wo ein paar friedensbewegte Junghippies in
Jesuslatschen unter Anleitung des örtlichen Pfarrers die
Nächstenliebe erlernten. Immerhin gab es dort billiges Bier und ein
Hauch von Kommunismus wehte durch den Keller. Dort galt ich schon
seit Jahren als Problemfall. Mit meiner besprühten Kunstlederjacke
(zu echtem hatte es bei mir nicht gereicht), den hennaroten Haaren,
den klirrenden Eisenketten war ich für die Hippies so etwas wie ein
Außerirdischer, aber ich schrieb Antikriegsgedichte und deshalb
hegte der Pfarrer die Hoffnung, ich wandle noch nicht endgültig auf
verlorenen Pfaden. Musikalisch war man von mir schon einiges gewohnt.
Von Anarchy in the UK über Fuck the System bis hin zu Bullenschweine
und Innenstadtfront hatte ich bereits das ganze nihilistische
Repertoire des Punks in den Keller in Form von schlecht bespielten
Kassetten getragen. Als ich jetzt aber mit Ficken Bumsen Blasen alles
auf dem Rasen daher kam, fing man an, die Hoffnung mit mir zu
verlieren. Ich liebte das. Ich liebte es, der Außenseiter zu sein,
der Marsmensch mit den Tentakeln statt Armen, der jeden Augenblick
Atomblitze aus den Nasenlöchern senden konnte, anders eben als die
anderen, diese Bauerntölpel, die glaubten, wenn sie Lieder von Bots
trällerten, würde sich die Welt verändern. Nichts würde sich
ändern. Die Welt war zum Untergang verurteilt. Die wussten das nur
nicht.
Die Platte war jedenfalls
gut, nicht so gut wie Eddies Salon, nicht so leicht, locker und
verspielt, aber gut. Stellenweise schneller und härter, reduzierter
und vor allem politisch nicht so verkrampft wie das, was sonst aus
Amerika und England zu hören war und was die inzwischen zahlreich
gegründeten Deutschpunk Bands von sich gaben. Aber als dann kurze
Zeit später meine Mitschüler, die ich hasste und die mich hassten,
anfingen, Eisgekühlter Bommerlunder auf dem Pausenhof zu grölen,
wurde mir die Band plötzlich suspekt. Ich verlor das Interesse an
ihnen und fand es erst Jahre später wieder, als sie mit Ein kleines
bisschen Horrorshow ihr wahrscheinlich bestes Album veröffentlichten.
Ende der 80er Jahre hatte
ich endlich so etwas wie einen Job gefunden: als Thekenkraft in
meiner Stammkneipe Brückenkopf, dem berüchtigten Treff der
linksautonomen und sonst wie anders angehauchten Szene, wo ich zuvor
schon für ein Schnitzel mit Pommes die Terrasse gekehrt oder
verstopfte Pissoirs entstopft hatte. Aber ich fühlte mich zu höherem
berufen, zumal ich wusste, dass Bedienungen gesucht wurden. Außerdem
war ich inzwischen nach Hanau gezogen und hatte eine Wohnung zu
bezahlen. Erst gab es endlose Diskussionen, aber schließlich bekam
ich eine Chance, vorausgesetzt, ich würde mir eine ordentliche
Frisur zulegen. Nun gut, die Haare waren schnell geschnitten. Mit
etwas Farbe darin konnte ich gut damit leben. Hatte jemand was von
Haare färben gesagt?
Zu den Stammgästen
gehörten nicht nur linksalternative Grüne, Hausbesetzer und andere
gestrauchelte Individuen, sondern auch die Mitglieder des Rockerclubs
Wotan. Die Wotans waren gefürchtet, hatten früher schon das ein
oder andere Musikfestival durch Messerstechereien gesprengt, alles
andere als nette Schwiegersöhne. Aber einige des Clubs waren gut mit
den Betreibern der Kneipe befreundet, deshalb genossen sie so etwas
wie Narrenfreiheit. Außerdem waren sie in der Zwischenzeit schon
etwas gemäßigter geworden und prügelten sich nur noch, wenn es
unbedingt sein musste. Dennoch hatte ich Respekt vor ihnen, vor allem
wenn sie nachts um eins reichlich betrunken an der Theke hockten und
sich nicht zum gehen bewegen ließen. Ein Uhr hieß Sperrstunde und
Sperrstundenüberschreitung konnte die Konzession kosten. Vor allem
Grütze (Name geändert), der heimlich Chef der Gang, machte sich
einen Heidenspaß daraus, mich zittern und mit Engelszungen auf die
Kuttenträger einreden zu sehen. Allerdings war er es auch, der die
Bande kurz vor der Eskalation dank seiner Autorität auf die Harleys
verfrachtete, mit denen sie schließlich ins Boot, einem GI Laden,
für den die Sperrstunde nicht galt, abbrausten.
Ein anderer Club, der bei
uns ein und ausging, waren die Black Devils. Das genaue Gegenteil der
Wotans. Immer höflich und nett. Selbst die Kutten sahen aus, als
hätten sie sie vor der Abfahrt frisch gewaschen und gebügelt.
Darüber machte ich mich oft lustig, aber nur heimlich, denn nicht
nur ihre zahlreich vorhandenen Tattoos zeigten, dass die auch anders
konnten. Ihr Präsi hieß Meyer und Meyer arbeitete zusammen mit
Grütze als Security in der Frankfurter Batschkapp. Als Ausgleich für
die zahlreichen nächtlichen Eskapaden im Brückenkopf, setzte mich
Grütze regelmäßig auf die Gästeliste, wenn interessante Bands
auftraten. Auch bei den beiden Geheimkonzerten der Toten Hosen, die
sie in der Batsche gaben, als die Band längst schon große Hallen
und Stadien füllte. Ich hatte sie das letzte Mal während der
Horrorshow Tour in Offenbach gesehen. 3000 Zuschauer,
Oberlippenbartträger und Bundeswehrsoldaten. Das war mir schon zu
viel, nicht mehr meine Welt. Aber in der Batschkapp zeigte die Band,
wo sie wirklich hingehörte. Meyer von den Black Devils da schon
lange Security Chef der Hosen und blieb es bis zu seinem Tod im Jahr
2000. Ihm ist unter anderem Oehmkes Buch gewidmet.
Die Band vergisst
niemanden. Das ist eine Kernaussage in Oehmkes Buch, und auch nicht,
woher sie ursprünglich kommt. Schon früh begannen sich die Hosen
für den Ostblock zu interessieren. Unbemerkt vom Westen und von den
inzwischen abgewanderten ersten Fans, denen das zweite Album schon zu
kommerziell war, spielten sie als erste westdeutsche Band überhaupt,
lange vor Lindenbergs Kollaboration mit Herrn Honnecker, in der DDR,
heimlich, in einer Kirche in Ostberlin. Später, in Deutschland schon
zu millionenschweren Superstars geworden, spielten sie in
Tadschikistan, in Paraguay, Kuba. Nicht wegen weiterer Millionen,
nicht als Aushängeschild deutscher Kultur vor vom Staat geladenen
Gästen, sondern als Unterstützer einer aufkeimenden Subkultur, für
Leute, die ein gefährliches Leben lebten, weil sie sich den
Diktatoren nicht fügen wollten, sondern eigene Vorstellungen von
Persönlichkeitsentfaltung entwickelten. Es braucht nicht unbedingt
eine politische Botschaft für die Unterdrückten, für die, die
nicht mit dem Strom schwimmen wollen. Manchmal reichen ein paar
Akkorde aus, auch wenn man am nächsten Tag wieder in die scheinbar
freie Welt zurückkehrt.
Den Toten Hosen wird oft
vorgeworfen, die Idee des Punks verraten zu haben. Auch Freunde von
mir verachten Campino und Co. Als drittklassige Schlagerkapelle. Aber
die waren zumeist schon in den 80ern eher bei Black Flag, Flipper
oder MDC und bezeichneten Bands, die für ein Konzert mehr als drei
Mark Eintritt verlangten, als kapitalistische Ausbeuter. Dennoch ist
die Frage natürlich berechtigt. Ist Punk mit übervollen Bankkonten
und Fincas auf Ibiza vereinbar?
Um diese Frage zu
beantworten, müsste man definieren, was Punk überhaupt ist und
wofür er steht. Die Verweigerung, sich am kapitalistischen System zu
beteiligen? Am Bahnhof nach Euros schnorren? Sich daneben benehmen,
Klos in Jugendzentren voll zu sprühen oder jeden Tag eine andere
Haarfarbe zu tragen, Lederjacken mit Killernieten zu tragen? All das
spielte Mitte der 70er, als es mit Punk los ging, keine Rolle. Punk
war keine für mit Lederjacken uniformierte Nihilisten, schon gar
nicht für politische Dogmatiker. Punk hatte vor allem etwas mit
Humor zu tun, mit einer gewissen Art von Haltung, für seine Ideen
einzustehen, seien sie noch so abwegig und abstrus. Vor allem aber
war es der DIY Gedanke, der schon früh zu einem Grundpfeiler des
Punks wurde. Du findest keine Plattenfirma? Dann mach deine Platten
selber oder verkauf Kassetten. Keine Musikzeitschrift, die über
deine Lieblingsband berichten will? Gründe deine eigene, geh in den
Copyshop und gib ein Fanzine heraus. Die erste Platte der Toten Hosen
erschien auf dem eigens dafür gegründetem Totenkopf Label, bevor
man zu EMI und schließlich zu Virgin wechselte. Als der Erfolg
einsetzte, kehrte man zu diesem Konzept zurück, um unabhängig zu
bleiben, um sich nicht reinreden lassen zu müssen. Auch um die
Kontrolle über die Finanzen zu behalten, über Tourpläne,
Interviews, Fernsehauftritte bis hin zur Festlegung der
Eintrittspreise, die sich auch heute noch weit unterhalb von ähnlich
bekannte Künstlern bewegen. Und die Millionen? Es kommt darauf an,
was man damit macht. Schon früh begannen die Toten Hosen, ihr Geld
sinnvoll einzusetzen. So unterstützten sie maßgeblich ihre
einstigen Vorbilder, in dem sie neue Platten finanzierten, die auf
ihrem Label erschienen. Dass TV Smith heute in Deutschland beliebter
denn je ist, ist nicht zuletzt das Verdienst des Engagements der
Toten Hosen. Dass ihnen gerade das vorrangig wichtig war, zeigte
Campino beim Abschlusskonzert der Learning English Tour auf der
Loreley. Als Unterstützung hatte man sich 999, UK Subs, The
Vibrators und Wreckless Eric geholt. So richtig reinpassen wollte
letzterer nicht mit seinen garagenlastigen Singersongwriter Songs.
Das waren keine Mitgröhlhymnen für betrunkene Bundeswehrsoldaten,
die den Auftritt des genialen Wreckless Eric mit zunehmend lautem
„Hosen! Hosen!“ Gebrüll störten. So sehr, dass schließlich
Campino sichtlich erbost, stinksauer sogar, auf die Bühne kam und
den Hosen Schreiern klar machte, dass die Hosen nicht spielen werden,
wenn sie den Musikern nicht gebührenden Respekt erwiesen: „Ohne
diese Leute gäbe es uns überhaupt nicht.“ Schon seit Jahren
unterstützt die Band die Organisation Pro Asyl, setzt sich ein beim
Kampf gegen rechte Strukturen, arbeitet mit Kein Bock auf Nazis
zusammen. Ihr Engagements gegen Rechts begann schon auf der ersten
Platte mit dem später leider oft mißverstandenen Song Ülüsü. Es
war nur logisch, dass sie sich konsequent weigerten, auch nach deren
angeblicher Läuterung mit den Böhsen Onkelz die Bühne zu teilen.
Manche mögen das als Fähnchen in den Wind halten werten, als
Anbiederung an das linksgrünversifftemainstreamgutmenschentum. Aber
es ist nicht die Band, die ihre Haltung geändert hat. Obwohl sie
sich nie als politisch motivierte Band sah, setzte sie sich schon
früh für politische Ziele ein, nicht nur durch ihr Zwischenspiel in
der DDR. Sie spielten in Wackersdorf, demonstrierten gegen
Castortransporte, beteiligten sich an den Protesten gegen den G8
Gipfel in Heiligendamm. Als der Traditionsverein Fortuna Düsseldorf
drohte in Konkurs zu gehen, halfen sie ihm mit einer kräftigen
Finanzspritze wieder auf die Beine. Ähnliches gilt für den Berliner
Kultclub SO36, in dem sie ein Solikonzert bestritten, auch in
Erinnerung daran, dass das SO36 einer der ersten Läden war, der die
Hosen auf die Bühne ließ. Die Toten Hosen jedenfalls sind alles
andere als selbstgefällige, elitäre Rockstars.
Gerade diesen Zwiespalt
zwischen Ruhm und Verantwortung arbeitet Oehmke in beeindruckender
Weise heraus, all die Zweifel und die Bemühungen, die Balance zu
wahren zwischen eigener Haltung und den Erwartungen, die an Künstler
in dieser Position gestellt werden, und um den Umgang mit dem, wovor
keiner von uns gefeit ist: alt, oder zumindest älter zu werden.
Muss man die Toten Hosen
mögen? Nein. Auch nicht nach der Lektüre dieses Buches. Rein
musikalisch interessiere ich mich schon seit Mitte der 90er nicht
mehr für die Band. Nach Learning English kamen nur noch sporadisch
interessante Songs. Aber was soll's.
2002 hatte ich
tatsächlich das Glück, mit dem großen Campino kurz persönlich zu
sprechen. Der Hessische Rundfunk hatte mich zum Interview eingeladen.
Thema: 25 Jahre Punk (was natürlich Unsinn war; zwar wir als
Geburtsstunde des Punk immer wieder gerne das magische Jahr 1977
genannt, genau genommen war es 1977 mit Punk aber schon lange
vorbei.) Gäste außer mir: Jürgen Teipel, der gerade die
essentielle Doku Verschwende deine Jugend über die frühen deutschen
Punkbands veröffentlicht hatte, und Campino, einer der
Hauptdarsteller eben jenes Buches. Was ich dort zu suchen hatte?
Keine Ahnung, aber der Redakteur der Sendung war ein guter Bekannter
von mir und so schmuggelte er mich als angeblich wichtigen
Punkrock-Dichter in die Sendung. Also erzählte ich etwas über meine
Gedichte und spielte ein paar Protopunksongs von The Sonics und den
Stooges. Da war Teipel schon weg. Und Campino noch gar nicht da.
„Wo ist Campino?“
fragte ich den Redakteur, nachdem ich genug Unsinn erzählt hatte.
„Den hole ich unten ab.
Komm mit“, sagte er.
Campino saß in der Lobby
zusammen mit einer jungen Dame, eine Art Pressesprecherin, Managerin,
Anstandsdame. Wer weiß. Ich hatte Zks Eddies Salon mitgebracht und
hielt die Hülle unter Campinos Nase mit der ehrfurchtsvollen Bitte
um ein Autogramm.
„Klar“, sagte
Campino. Und dann fing er an zu erzählen. Von der Druckerei, die das
Cover versaute, von den chaotischen Zuständen in der Band, von Isi,
dem Teddy Boy. Eine Anekdote löste die andere ab, stets unterbrochen
von den Hinweisen der jungen Dame, man müsse jetzt los, man käme eh
schon zu spät. Aber der Redakteur sagte: „Nein, nein, wir haben
noch Zeit.“ Ihn interessierten die Storys selbst. Jedenfalls der,
der da auf dem Ledersofa saß, war kein Rockstar. Dort saß ein
überaus sympathischer Typ mittleren Alters, der interessante
Geschichten zu erzählen hatte.
Seit den Geheimkonzerten
in der Batschkapp Anfang der 90er hatte ich die Toten Hosen nicht
mehr live gesehen. Bis Ende der 2000er Jahre. Sie sollten auf dem
Hessentag in Langenselbold, dem Ort meiner verkorksten Teenagerjahre,
spielen. Vor 20.000 Leuten. Eigentlich wollte ich gar nicht hin.
Solche Massenveranstaltungen sind mir zuwider. Aber dann hatte ein
Bekannter einer Karte übrig, also dachte ich: was soll's.
Das befürchtete Gedränge
blieb aus. Das Gelände war weitläufig genug, um sich überall
bequem hinzubewegen. Auch die Show hat mich angenehm überrascht. Die
Band hatte immer noch Energie und merklich Spaß an dem, was sie da
machte. Selbst die neueren Songs waren live viel besser als auf CD.
Auf dem Heimweg hatte ich es jedenfalls nicht bereut, hingegangen zu
sein. Aber mehr noch. Ich fühlte eine tiefe Genugtuung. Denn ich
wusste, in diesem Bauernkaff war ich es, der die Toten Hosen als
erster erklingen ließ. Ficken, bumsen, blasen im Jugendtreff Quo
Vadis. Mir wurde eine düstere Zukunft vorausgesagt, aber ich bin
noch da. Doch was ist eigentlich aus den anderen aus dem Keller
geworden?