Nennt mich ab heute Spießer, denn
ab heute lebe ich im Eigenheim. Hab dem Ex-Vermieter die Schlüssel überreicht
und mich befreit aus dem Klammergriff nimmersatter Vermieter, die nie etwas
investieren aber umso mehr kassieren wollen. Zum Beispiel für eine
Komplettrenovierung des Mietobjektes auf Kosten der Mieter, damit von den
Nachfolgern mit Null-Investition noch ein- bis zweihundert Euros mehr verlangt
werden können. Aber nicht mit mir, denn noch bin ich im Mieterverein und die
Post vom Anwalt, lieber Ex-Vermieter, sehr geehrter Herr Professor für
irgendwas, der du denkst, ich renovier dir deine Hütte bei Ein- und Auszug,
wird dich finden – wo immer du auch bist.
Jetzt bin ich verschuldet und
zwar für den Rest meines Lebens und darüber hinaus. Mit großer
Wahrscheinlichkeit werde ich die Schuldenfreiheit nicht mehr erleben.
Stattdessen wird mein Sohn eine ordentliche Rate für die Bank erben. Vielleicht
muss ich das Haus in zehn oder zwanzig Jahren verkaufen, weil ich alt und
gebrechlich bin und nicht mehr arbeiten kann und weil die fortschreitende
Demenz die kleinste Idee für ein Gedicht verhindert, das ich für ein paar Euro
und ein Belegexemplar an einen Verlag verkaufen könnte. Ist mir egal. Nicht die
Bohne interessiert mich das im Augenblick.
Denn im Augenblick gehören die
120 qm mir (ja, ich weiß: zweidrittel gehören der Bank) und ich kann die
Holztreppe hoch- und runtergehen, ohne Angst haben zu müssen, einen Kratzer zu
hinterlassen. Vollkommen egal, ob das Buch, das aus dem Regal fällt, eine
Druckstelle im Parkett hinterlässt. Mir egal, ob sich im Klo Urin- oder
sonstige Steine bilden. Es ist mein Urin, mein Parkett, meine Treppe. Und die
40 qm Garten lasse ich verwildern, denn ich will, dass das Gras Körner trägt,
denn die Körner locken die Vögel an und ich mag Vögel. Und ich mag auch
Insekten und deshalb werde ich das Unkraut nicht jäten, denn es soll blühen und
alle möglichen Krabbel- und Kriechtiere anziehen. Und kein Vermieter wird mir
mehr eine Abmahnung schicken, weil der Rasen nicht gemäht wurde.
Vielleicht fragt ihr euch jetzt:
wie lässt sich das vereinbaren? Eigenheim und Underground, Besitz und Punk,
Reihenhaussiedlung und DIY Philosophie. Aber für mich hat sich rein gar nichts
verändert. Außer vielleicht, dass ich mit Mitte Fünfzig nicht mehr in
verranzten Buden mit defektem Klo leben will, auch wenn diese Bude für mich vor
dreißig Jahren den reinsten Luxus darstellte. Es war besser als der Schlafsack
im Schlossgarten. Nahezu alles wäre besser gewesen als der Schlafsack im Schlossgarten,
selbst die 20 qm Baugesellschaftszelle, in der ich eine Ecke bewohnte und die
Dealer und Autoradioverticker umherschwirrten wie die Kakerlaken, die es im
Übrigen auch in rauen Mengen gab und die die eigentlichen Herrscher in dieser
Zelle waren.
Nennt mich ab heute Spießer. Ist
mir egal. Ich hab noch nie was drauf gegeben, was andere von mir denken. Ich
bin nur mir selbst gegenüber Rechenschaft schuldig … und meiner Familie, also
Frau und Sohn. Und der Rest kann mich mal. Opportunismus war noch nie mein
Ding.
Na gut, der Garten lässt noch zu
wünschen übrig, gleicht mehr einer Schutthalde und ich entdecke ein Kraut, dass
sich verdächtig ausbreitet und die anderen Gräser verdrängt. Da werde ich wohl
doch etwas rupfen müssen. Aber hey, noch spiele ich in keiner 80er Jahre
Coverband. Vom Spießertum bin ich noch meilenweit entfernt.