„Warum habt ihr keine Platten dabei?“ fragte ich den
kleinen, etwas verschwitzten Musiker mit den schwarz gefärbten Haaren, der sich
gerade mit seiner Kapelle den Weg in den Elfer bahnte, in schlechtem Englisch.
Ich wusste, dass es eine neue Scheibe gab, die erste seit 1979, deshalb waren
sie überhaupt auf Tour, aber es gab nach dem Konzert weder T-Shirts noch
Platten zu kaufen. Im Weitergehen sagte der Typ etwas genervt: „Kauf sie dir im
Plattenladen“, und verschwand hinter der Tür. Ich hinterher, aber ich bohrte
nicht weiter. Schließlich wäre ich auch genervt, wenn mich nach den Konzerten
ständig Fans anquatschten und irgendetwas wissen wollten. Obwohl ich schon
etwas enttäuscht war, hatte ich doch kurz zuvor noch Razzia dazu genötigt, im
Bandbus zwischen Bierdosen und Schlafsäcken nach der letzten Vinylscheibe zu
suchen, die nach der Tour noch übriggeblieben war.
The Buzzcocks in der Batschkapp, Foto: Robsie Richter
Die Band setzte sich an einen Tisch und bekam unaufgefordert
etwas zu trinken. Ich erwischte einen Platz an der Theke. Die übrigen Gäste im
Elfer, die allesamt das Konzert zuvor in der benachbarten Batschkapp gesehen
hatten, hielten respektvoll Abstand. Keiner, der sich etwas signieren lassen
wollte oder danach fragte, wie das nun in Manchester tatsächlich war. Also
hielt ich mich auch an die unausgesprochene Regel.
Die Band waren die Buzzcocks und der verschwitzte Typ hieß
Pete Shelley. Das war 1993.
Das erste Mal hörte ich die Buzzcocks auf dem Live at the
Roxy Sampler. Ich hatte eine schlechte Kopie einer Kopie einer Kopie davon auf
Kassette und das ständige Abspielen, Zurückspulen und wieder Abspielen machte
die Qualität des Bandes nicht besser. Aber ich liebte diese Platte. Der kaputte
Sound passte zu meinem pubertierenden, kaputten 13-jährigen Ich wie die Faust
aufs Auge und der gehörige Tritt in den Arsch dazu. Jeder Song ein Treffer,
aber besonders mochte ich neben den Adverts die beiden darauf enthaltenen
Buzzcocks Songs. Love Battery und Breakdown rumpelten über die imaginäre Rille
(es war ja nur ein Band) wie ein außer
Kontrolle geratener Panzer und nach jedem Hören konnte es passieren, dass man
unter die Ketten geriet.
Zu diesem Zeitpunkt gab es schon die Spiral Scratch EP, die
erste selbst finanzierte und vertriebene Punkplatte und Prototyp für tausende
DIY und Indieproduktionen, aber woher sollte ich das wissen? In der Bravo stand
davon nichts. Auf dem Debut Album, das ein Jahr später erschien, ging es schon
harmonischer, aber nicht weniger energiegeladen zu. Gleich der erste Song eine
Hymne, die mich bis heute begleitet. Fast Cars liefert die einzige Zeile, die
man im Disput mit PS Fanatikern und Möchtegernrennpiloten braucht: „I hate Fast
Cars!“
The Buzzcocks veröffentlichten insgesamt 9 Studio Alben und
jedes davon ist ein kleines Juwel, auch die neueren. Schade, dass gerade das
Spätwerk so sträflich vernachlässigt wird angesichts der Überhits, die Shelley
und Co. in den 70ern produzierten. Anders als andere Bands ruhten sie sich
nicht auf der einen guten Platte aus, die immer und immer wieder beweisen soll,
wie cool (oder abgefuckt) man früher doch war.
Im Kommentar zu einem YouTube Video eines live Auftrittes
von 2016 steht: „Pete Shelley's still rocking at 61! Damn!“ Jetzt rockt Pete
Shelley leider nicht mehr, denn er starb gestern mit gerade einmal 63 Jahren.
Kein Rock’n’Roller sollte mit 63 sterben, wenn er die 27 erst einmal geschafft
hat.
In diversen Nachrufen konnte ich lesen, dass Pete Shelley
als einer der bedeutensten britischen Songschreiber galt. Natürlich stimmt das,
aber warum kennt ihn dann kaum einer? Außer den wenigen eingefleischten Freaks,
die sich heute noch für gute Musik interessieren und jenen, die damals schon
dabei waren? Und natürlich die, die heute noch glauben, Shelley hätte 1981 den
Techno erfunden. Dabei hätten die Buzzcocks mindestens den gleichen Stellenwert
verdient wie die Sex Pistols, Clash, die Rolling Stones oder Nirvana.
Jahrzehntelang tourten die Buzzcocks unermüdlich durch die
Clubs, aber jetzt ist es vorbei. Es wird keine Konzerte mehr geben und was
bleibt ist die Frage: Was wird Steve Diggle, Pete Shelleys treuer Weggefährte
und Co-Sänger der Buzzcocks, jetzt machen? Und die späte Erkenntnis: ich hätte
mir die Eintrittskarte damals im Elfer doch signieren lassen sollen. Scheiß auf
Regeln. Die wollten wir Punks doch eigentlich über Bord werfen.