Samstag, 8. Dezember 2018

SCHEISS AUF REGELN (zum Tod von Pete Shelley)


„Warum habt ihr keine Platten dabei?“ fragte ich den kleinen, etwas verschwitzten Musiker mit den schwarz gefärbten Haaren, der sich gerade mit seiner Kapelle den Weg in den Elfer bahnte, in schlechtem Englisch. Ich wusste, dass es eine neue Scheibe gab, die erste seit 1979, deshalb waren sie überhaupt auf Tour, aber es gab nach dem Konzert weder T-Shirts noch Platten zu kaufen. Im Weitergehen sagte der Typ etwas genervt: „Kauf sie dir im Plattenladen“, und verschwand hinter der Tür. Ich hinterher, aber ich bohrte nicht weiter. Schließlich wäre ich auch genervt, wenn mich nach den Konzerten ständig Fans anquatschten und irgendetwas wissen wollten. Obwohl ich schon etwas enttäuscht war, hatte ich doch kurz zuvor noch Razzia dazu genötigt, im Bandbus zwischen Bierdosen und Schlafsäcken nach der letzten Vinylscheibe zu suchen, die nach der Tour noch übriggeblieben war.
The Buzzcocks in der Batschkapp, Foto: Robsie Richter

Die Band setzte sich an einen Tisch und bekam unaufgefordert etwas zu trinken. Ich erwischte einen Platz an der Theke. Die übrigen Gäste im Elfer, die allesamt das Konzert zuvor in der benachbarten Batschkapp gesehen hatten, hielten respektvoll Abstand. Keiner, der sich etwas signieren lassen wollte oder danach fragte, wie das nun in Manchester tatsächlich war. Also hielt ich mich auch an die unausgesprochene Regel.
Die Band waren die Buzzcocks und der verschwitzte Typ hieß Pete Shelley. Das war 1993.
Das erste Mal hörte ich die Buzzcocks auf dem Live at the Roxy Sampler. Ich hatte eine schlechte Kopie einer Kopie einer Kopie davon auf Kassette und das ständige Abspielen, Zurückspulen und wieder Abspielen machte die Qualität des Bandes nicht besser. Aber ich liebte diese Platte. Der kaputte Sound passte zu meinem pubertierenden, kaputten 13-jährigen Ich wie die Faust aufs Auge und der gehörige Tritt in den Arsch dazu. Jeder Song ein Treffer, aber besonders mochte ich neben den Adverts die beiden darauf enthaltenen Buzzcocks Songs. Love Battery und Breakdown rumpelten über die imaginäre Rille (es war ja nur ein Band)  wie ein außer Kontrolle geratener Panzer und nach jedem Hören konnte es passieren, dass man unter die Ketten geriet.
Zu diesem Zeitpunkt gab es schon die Spiral Scratch EP, die erste selbst finanzierte und vertriebene Punkplatte und Prototyp für tausende DIY und Indieproduktionen, aber woher sollte ich das wissen? In der Bravo stand davon nichts. Auf dem Debut Album, das ein Jahr später erschien, ging es schon harmonischer, aber nicht weniger energiegeladen zu. Gleich der erste Song eine Hymne, die mich bis heute begleitet. Fast Cars liefert die einzige Zeile, die man im Disput mit PS Fanatikern und Möchtegernrennpiloten braucht: „I hate Fast Cars!“
The Buzzcocks veröffentlichten insgesamt 9 Studio Alben und jedes davon ist ein kleines Juwel, auch die neueren. Schade, dass gerade das Spätwerk so sträflich vernachlässigt wird angesichts der Überhits, die Shelley und Co. in den 70ern produzierten. Anders als andere Bands ruhten sie sich nicht auf der einen guten Platte aus, die immer und immer wieder beweisen soll, wie cool (oder abgefuckt) man früher doch war.
Im Kommentar zu einem YouTube Video eines live Auftrittes von 2016 steht: „Pete Shelley's still rocking at 61! Damn!“ Jetzt rockt Pete Shelley leider nicht mehr, denn er starb gestern mit gerade einmal 63 Jahren. Kein Rock’n’Roller sollte mit 63 sterben, wenn er die 27 erst einmal geschafft hat.
In diversen Nachrufen konnte ich lesen, dass Pete Shelley als einer der bedeutensten britischen Songschreiber galt. Natürlich stimmt das, aber warum kennt ihn dann kaum einer? Außer den wenigen eingefleischten Freaks, die sich heute noch für gute Musik interessieren und jenen, die damals schon dabei waren? Und natürlich die, die heute noch glauben, Shelley hätte 1981 den Techno erfunden. Dabei hätten die Buzzcocks mindestens den gleichen Stellenwert verdient wie die Sex Pistols, Clash, die Rolling Stones oder Nirvana.
Jahrzehntelang tourten die Buzzcocks unermüdlich durch die Clubs, aber jetzt ist es vorbei. Es wird keine Konzerte mehr geben und was bleibt ist die Frage: Was wird Steve Diggle, Pete Shelleys treuer Weggefährte und Co-Sänger der Buzzcocks, jetzt machen? Und die späte Erkenntnis: ich hätte mir die Eintrittskarte damals im Elfer doch signieren lassen sollen. Scheiß auf Regeln. Die wollten wir Punks doch eigentlich über Bord werfen.

Donnerstag, 14. Juni 2018

NENNT MICH AB HEUTE SPIESSER


Nennt mich ab heute Spießer, denn ab heute lebe ich im Eigenheim. Hab dem Ex-Vermieter die Schlüssel überreicht und mich befreit aus dem Klammergriff nimmersatter Vermieter, die nie etwas investieren aber umso mehr kassieren wollen. Zum Beispiel für eine Komplettrenovierung des Mietobjektes auf Kosten der Mieter, damit von den Nachfolgern mit Null-Investition noch ein- bis zweihundert Euros mehr verlangt werden können. Aber nicht mit mir, denn noch bin ich im Mieterverein und die Post vom Anwalt, lieber Ex-Vermieter, sehr geehrter Herr Professor für irgendwas, der du denkst, ich renovier dir deine Hütte bei Ein- und Auszug, wird dich finden – wo immer du auch bist.
Jetzt bin ich verschuldet und zwar für den Rest meines Lebens und darüber hinaus. Mit großer Wahrscheinlichkeit werde ich die Schuldenfreiheit nicht mehr erleben. Stattdessen wird mein Sohn eine ordentliche Rate für die Bank erben. Vielleicht muss ich das Haus in zehn oder zwanzig Jahren verkaufen, weil ich alt und gebrechlich bin und nicht mehr arbeiten kann und weil die fortschreitende Demenz die kleinste Idee für ein Gedicht verhindert, das ich für ein paar Euro und ein Belegexemplar an einen Verlag verkaufen könnte. Ist mir egal. Nicht die Bohne interessiert mich das im Augenblick.
Denn im Augenblick gehören die 120 qm mir (ja, ich weiß: zweidrittel gehören der Bank) und ich kann die Holztreppe hoch- und runtergehen, ohne Angst haben zu müssen, einen Kratzer zu hinterlassen. Vollkommen egal, ob das Buch, das aus dem Regal fällt, eine Druckstelle im Parkett hinterlässt. Mir egal, ob sich im Klo Urin- oder sonstige Steine bilden. Es ist mein Urin, mein Parkett, meine Treppe. Und die 40 qm Garten lasse ich verwildern, denn ich will, dass das Gras Körner trägt, denn die Körner locken die Vögel an und ich mag Vögel. Und ich mag auch Insekten und deshalb werde ich das Unkraut nicht jäten, denn es soll blühen und alle möglichen Krabbel- und Kriechtiere anziehen. Und kein Vermieter wird mir mehr eine Abmahnung schicken, weil der Rasen nicht gemäht wurde.
Vielleicht fragt ihr euch jetzt: wie lässt sich das vereinbaren? Eigenheim und Underground, Besitz und Punk, Reihenhaussiedlung und DIY Philosophie. Aber für mich hat sich rein gar nichts verändert. Außer vielleicht, dass ich mit Mitte Fünfzig nicht mehr in verranzten Buden mit defektem Klo leben will, auch wenn diese Bude für mich vor dreißig Jahren den reinsten Luxus darstellte. Es war besser als der Schlafsack im Schlossgarten. Nahezu alles wäre besser gewesen als der Schlafsack im Schlossgarten, selbst die 20 qm Baugesellschaftszelle, in der ich eine Ecke bewohnte und die Dealer und Autoradioverticker umherschwirrten wie die Kakerlaken, die es im Übrigen auch in rauen Mengen gab und die die eigentlichen Herrscher in dieser Zelle waren.
Nennt mich ab heute Spießer. Ist mir egal. Ich hab noch nie was drauf gegeben, was andere von mir denken. Ich bin nur mir selbst gegenüber Rechenschaft schuldig … und meiner Familie, also Frau und Sohn. Und der Rest kann mich mal. Opportunismus war noch nie mein Ding.
Na gut, der Garten lässt noch zu wünschen übrig, gleicht mehr einer Schutthalde und ich entdecke ein Kraut, dass sich verdächtig ausbreitet und die anderen Gräser verdrängt. Da werde ich wohl doch etwas rupfen müssen. Aber hey, noch spiele ich in keiner 80er Jahre Coverband. Vom Spießertum bin ich noch meilenweit entfernt.